Berichte von Zeitzeugen
Verursacht durch die beiden Weltkriege und wirtschaftliche Krisen in den 1920er und 1930er Jahren war Hunger ein ständiger Begleiter im Leben vieler österreichischer Heranwachsender.
In Lebenserinnerungen werden diese eindrücklichen Erfahrungen beschrieben:
„Wir hatten ständig Hunger. Jeden Morgen gingen wir zur Kommunion, damit wir ein Frühstück bekamen. Mittags bekamen die armen Kinder eine warme Suppe von der Schule. Samstags und Sonntags holten wir uns vom nahegelegenen Krankenhaus öfters eine Kanne Suppe.
Wir gingen auch ins Kloster, um ein Stück Brot zu erbetteln. Das harte Brot kochte meine Mutter noch auf, ein Stück Schweineschmalz darauf, so stillten wir unseren Hunger.“
— Anna D.,
Lebensgeschichtliche Aufzeichnung, verfasst 1989
„Wenns im ersten Krieg einen Kilo Erdäpfel wollen haben, dann sind Sie gestanden von vier in der Früh bis acht, neun Uhr am Abend am Hannovermarkt. Und das war Winter wie Sommer. Es war eine schiache Zeit. Außerdem hat man einen Schmarrn gekriegt.
Wir haben uns angestellt in der Markhalle im dritten Bezirk. Da haben wir zu Fuß hingehen müssen und waren angestellt um Hasenköpfe. Die Hasen haben die Reichen gefressen und um die Hasenköpfe haben sich die Armen anstellen müssen. Wir haben daraus eine Hasensoß gemacht. Da in der Innstraße war eine Fleischbank. Dort hat sich mein Bruder angestellt auf d’Nacht, dass er ein Stückerl Fleisch kriegt, vielleicht dreißig, vierzig Deka. Um zehn Uhr auf d’Nacht ist er hingegangen mit einer Decke und hat sich dort hingelegt, damit er in der Früh drankommt. Aus dem Fleisch hat man doch eine Suppe machen können!“
— Agnes Prohaska,
„Ich nehm’ die Blüten und die Stengel …“ Kräutlerin am Schlingermarkt (= Damit es nicht verlorengeht … 13), Wien 1987.
„Vor der großen Wirtschaftskrise hatten wir alle Arbeit, aber dann waren zwei arbeitslos und Gustav ausgesteuert. So half die ganze Familie zusammen, um ein minimales Essen auf den Tisch zu bekommen. Aber im Winter gab es kein eigens Gemüse aus dem Garten, es musste viel eingekauft werden so wurde halt gespart wo und wie es ging und oft war dann ‚Schmalhans‘ Küchenmeister.
Wenn Gustav und ich Hunger hatte, gingen wir einfach schlafen, um die Zeit zu überbrücken, bis es wieder zu essen gab. […]. Als Erstes bekam Julius Arbeit, konnte sich Semmeln und Butter leisten, aber wenn er dies mit Genuss verzehrte, es fiel für mich kein Bissen ab, wenn ich ihm bei seiner „Tätigkeit“ zusah und er wusste, dass Semmeln meine Lieblingsspeise war. (…)
In der Krisenzeit entwickelten wir Kinder ziemliche ‚Ernährungsaktivitäten‘. Da gab es hinter den Zwanzigerhäusern auf der anderen Straßenseite Kartoffeläcker und Erbsenbeete, die für mich eine magische Anziehungskraft hatten. Man konnte sich in den durch Anhäufeln der Kartoffeln entstandenen Rillen so schön ungesehen, am Bauch kriechend an die Erbsenstauden heranpirschen und liegend die Früchte genießen. Wir hatten nichts gestohlen und aßen, was wir im Augenblick verzehren konnte und hatten wir kein schlechtes Gewissen dabei.“
— Helmut F.,
Lebensgeschichtliche Aufzeichnung, verfasst 1994-95