Bericht nach Ende des Zweiten Weltkriegs

Bericht nach Ende des Zweiten Weltkriegs

Wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges berichtet ein Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht – und zwar der politische Berater bei der Alliierten Kommission für Österreich, Evgenij D. Kiselev – über die Situation in Österreich.

Besonders besorgniserregend sei die Ernährungslage, so Kiselev. Hunger und Mangelernährung bestimmten vielfach den Alltag der ersten Nachkriegsjahre.

Schreiben des politischen Beraters für Österreich, E. D. Kiselev, an den stv. Volkskommissar  für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, V. G. Dekanozov, mit beiliegendem Bericht über die politische Stimmung in Wien und in der sowjetischen Besatzungszone Österreich (geheim)

„Das Land sieht sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Schwierigkeiten konfrontiert, die es allein, ohne fremde Hilfe, nicht zu lösen im Stande ist.

Zu diesen Schwierigkeiten zählen: die Versorgung mit Lebensmitteln, die Frage einer Geldreform, das Verkehrswesen und die österreichischen Kriegsgefangenen.

Die Lage bei der Versorgung mit Lebensmitteln ist eine überaus schwierige. Neben dem Mangel an Grundnahrungsmitteln ist auf Grund des Fehlens an Transportmöglichkeiten auch die Zustellung von Gemüse, Milch, Obst u. a. de facto beinahe unmöglich. Die in diesem Jahr in den Bundesländern der sowjetischen Zone eingebrachte Ernte reicht laut Angaben des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei bloß für drei Monate, also bis zum 1. Dezember. Der Warenaustausch mit den Nachbarstaaten erfolgt bislang in nicht zufriedenstellendem Ausmaß (…).

Die Durchführung einer Währungsreform, so wie sich diese die österreichische Regierung vorgestellt hat, hat sich wesentlich erschwert, weil das Land von deutschen Banknoten überflutet wird und sich der Zustrom von Geld aus Jugoslawien, der Tschechoslowakei und aus den Besatzungszonen der Alliierten vergrößert. (…)

Der größte Schwachpunkt der österreichischen Wirtschaft liegt jedoch im Verkehrswesen. Der Mangel an Waggons und Lokomotiven, aber auch die äußerst geringe Zahl an der Regierung zur Verfügung stehenden Automobilen erlauben keine normale Versorgung der Bevölkerung, kein Einbringen der Ernte, keine Reinigung der Stadt, keine Wieder­instand­setzung von Betrieben und auch keine Versorgung mit Treibstoff. Es besteht nun die Möglichkeit, zwecks Ankäufen von Automobilen in die amerikanische und in die britische Zone zu reisen.

Es ist anzunehmen, dass sich auf Grund der in den Zonen der Alliierten angekauften Fahrzeuge die Krise im Transportwesen etwas entspannen wird, doch ist die Frage des gesamten Verkehrswesens und dabei in erster Linie die des Eisenbahnverkehrs konsequent und unter Beteiligung aller Besatzungsmächte zu lösen.

— Der politische Berater der Alliierten Kommission für Österreich Kiselev
17. August 1945