Ernährung in Krisenzeiten
Die Periode 1914-1950, also vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zu den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs, kann in Österreich als „Krisenzeit“ bezeichnet werden. Die Zeit war geprägt von autoritären Regierungen, politischen Konflikten und wirtschaftlichen Krisen. Besonders in Folge der beiden Weltkriege (1914–1918, 1939–1945) brach die Versorgung völlig zusammen, sodass von „Hungerjahren“ gesprochen werden kann. Viele Menschen konnten sich nicht mehr ausreichend ernähren. Besonders betroffen waren Menschen „am unteren Rand der Wohlstandsleiter“: kleinbäuerliche und kleingewerbliche Haushalte, Industriearbeiterfamilien in Landgemeinden und Städten, Dienstbot*innen, Taglöhner*innen und Erwerbslose. Nicht genug oder nur minderwertiges Essen zu haben, gehörte zu den zentralen Erfahrungen von ökonomisch nicht privilegierten Menschen. In vielen lebensgeschichtlichen Erinnerungen aus dieser Zeit wird die schwierige Nahrungsmittelbeschaffung beschrieben.
Von Versorgungskrisen und Unterernährung betroffen waren sowohl Städte als auch ländliche Gemeinden. Eine Untersuchung von Wiener Arbeiterhaushalten aus den Jahren 1925 bis 1934 zeigt, dass die Kosten für Wohnung, Heizung und Ernährung mehr als zwei Drittel der verfügbaren Geldmittel betrugen. Schulkinder aus traditionellen Arbeiter*innenbezirken wie Floridsdorf, Favoriten oder Simmering wiesen einen deutlich schlechteren Ernährungszustand auf als etwa Kinder aus dem Bezirk Alsergrund, der Inneren Stadt, der Josefstadt oder der Bezirk Neubau. Im ländlichen Niederösterreich waren Gemeinden betroffen, die wenig sozial durchmischt waren, etwa kaum Landwirtschaft aufwiesen und fast ausschließlich als ländliche Industriesiedlungen angesehen werden können.