Polnischer Zeitzeuge berichtet

Polnischer Zeitzeuge berichtet

Der 1920 geborene Jan Grądalski wurde im Zweiten Weltkrieg als polnischer ziviler Zwangsarbeiter nach Österreich gebracht.

Er erzählt als Zeitzeuge seine Erinnerungen an diese Zeit. Sein hartes Schicksal verschlechterte sich noch einmal drastisch, als er wegen Lebensmitteldiebstahls in Gestapo-Haft kam, verurteilt und in ein Arbeits­erziehungs­lager eingewiesen wurde. Diebstahl von Nahrung durch zivile Zwangsarbeitskräfte standen unter schwerer Strafe. Der Auszug des Interviews schildert die Umstände, die zu besagtem Diebstahl führten.

 

Grądalski, Jan, Interview za207, 29.10.2005

J.G.: Mein erster Arbeitsplatz war bei diesem ~Bauer~, von dem ich erzählte. Dort gab es nur Verpflegung. Als ich dann beschuldigt wurde, da kam er zu der Verhandlung, und ich erzählte, was ich gemacht hatte und warum. Und ich sagte: „Weil mir das und das fehlte.“

Und ich habe doch bestimmte Bedürfnisse. Und er erzählte auch, denn er wurde gefragt, warum er so betrogen hatte. Er sagte: „Ich gebe das, was ich selbst bekomme, denn ich bekomme alles gegen Marken.“

Interviewer: Und wann war diese Verhandlung? Was war das für eine Verhandlung?

J.G.: Das war, als ich von der Gestapo festgenommen wurde. Sie holten ihn und er sagte aus.

Interviewer: Und das war damals, als Sie auf dem Dachboden das Fleisch sich nahmen, ja?

J.G.: Ja, als ich das Fleisch stibitzte. Aber sie dachten wahrscheinlich, dass ich noch mehr mitgehen ließ. Bei ihnen war das so, dass wenn man einmal negativ aufgefallen ist, dann hielten sie dich für falsch.

Interviewer: Und wo war das, in Deutschland oder in Österreich?

J.G.: Das war in Österreich …

Interviewer: Und welche Stadt war das?

J.G.: Das war … das war eine Ortschaft … wie soll ich das sagen … Es war Niederösterreich, Spitz Donau, Bezirk Krems, und das nächste Dorf mit einem Bahnhof war Weißenkirchen. […]

So ein typischer Tag sah ungefähr so aus … Frühstück war sofort nach sieben Uhr, und dann schnell aufs Feld … Wenn es viel zu tun gab, bekam ich auf dem Feld zur Stärkung 50 Gramm Brot mit Käse, und dann ging es weiter bis Mittag. Dann ging ich zurück und aß zusammen mit den Deutschen zu Mittag. Im Flur gab es ein Zimmer und ein Fenster. Das Essen wurde von der Küche durch das Fenster gereicht. Jeder bekam seine Portion. Aber diese Portionen waren so klein, dass jeder das Doppelte hätte essen können. Nach dem Mittagessen gab es eine kleine Verschnaufpause und dann gingen wir zum Keller oder zu den Rebstöcken. Und wir arbeiteten bis zum Abend. […]

Interviewer: Hatten Sie dort auch etwas Freizeit oder mussten Sie die ganze Zeit arbeiten? Waren die Sonntage vielleicht frei?

J.G.: An Sonntagen arbeiteten wir nicht, es sei denn es gab sehr viel zu tun, z.B. bei der Weinernte, oder wenn man spritzen musste. Und sonst waren die Sonntage frei. Am Morgen gab es Frühstück, dann ein Mittagessen und später ein Abendessen – drei mickrige Mahlzeiten am Tag.

Interviewer: Sie sagten, dass Sie bei diesem ersten ~Bauer~ verhaftet wurden. Mussten Sie auch andere Strafen erleiden, wurden Sie sonst von jemanden misshandelt?

J.G.: Nein … Der Bauer stellte mir ein gutes Empfehlungsschreiben aus, obwohl er so war … Vor dem Gericht sagte er: Er war ein sehr guter Arbeiter, und da ich ihm nicht mehr Verpflegung zur Verfügung stellen konnte, nahm er sich selbst etwas …

Seine Mutter klagte mehr darüber, dass ich etwas klaute, aber vielleicht auch nicht. Na ja, was kann man machen? Aber er ergriff meine Seite: „Ich würde ihn heute noch wieder einstellen, wenn er zurückkäme.“

Quelle: Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte“, https://archiv.zwangsarbeit-archiv.de